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Wiesen wie früher – Tiroler Naturführerkurs „Modul Wiese“ im Naturpark Tiroler Lech

Der Naturpark Tiroler Lech hat nicht nur einen Wildfluss von internationaler Bedeutung zu bieten, sondern auch eine zumindest mancherorts arten- und strukturreich erhalten gebliebene Kulturlandschaft. Dazu mische man eine für das Wochenende vorhergesagte frühsommerliche Hitzewelle, eine hochmotivierte Gruppe und Top-Referent*innen – und schon könnte man von einer „gmahntn Wiesn“ für das dritte Modul (Lebensraum Wiese) der Tiroler Naturführerausbildung sprechen. Bereits der erste Tag beginnt mit einer Kuriosität: Wir sind bezüglich Eiwohnerzahl in der kleinsten Gemeinde Österreichs zu Gast! Gramais liegt in einem Seitental des Lechtals, eingenestet in eine dramatische alpine Landschaft mit schroffen Felswänden und tosenden Sturzbächen. Wir starten unsere kleine Wiesenrundwanderung mit Botanik-Expertin Mag. Cäcilia Lechner-Pagitz unter noch äußerst wechselhaften Wetterbedingungen. Ein paar Schauer und die kühle Temperatur halten uns nicht davon ab, mit gesteigertem Interesse und geschärftem Bick durch die facettenreiche Kulturlandschaft ziehen.

Cäcilia Lechner-Pagitz versprüht bei jedem Wetter Begeisterung für Pflanzen

Giftpflanze in der Hochstaudenflur: der Gelbe Eisenhut

Gleich zu Beginn helfen uns am Straßenrand vorkommende Pflanzen bei der Klärung wichtiger Grundbegriffe. Beim ruderalen Natternkopf aus der Familie der Rauhblattgewächse sind junge rosafarbene Blüten erkennbar, während die älteren sich blau färben. Die relativ unscheinbaren Blüten des Roten Holunders sind als Rispe angeordnet, und auf Anhieb finden wir auch Beispiele für eine Einzelblüte (Scharfer Hahnenfuß), einen Blütenkopf (Rot-Klee) und einen Blütenkorb (Löwenzahn). Bei der Besprechung der Rotblatt-Rose erweitern wir unseren Wortschatz um den botanischen Begriff „glauk“. Weil man für eine vertiefte Beschäftigung mit Grünland um einige wichtige Arten von Süßgräsern und die dazu gehörigen Begriffe nicht herumkommt, werden die Lupen gezückt und Halm, Ligula, Blattnervatur, Knoten und Zwischenknoten inspiziert. So fällt etwas später die Bestimmung von Ruchgras, Knäuelgras, Flaumhafer, Goldhafer, Mittlerem Zittergras und Fuchsschwanz nicht mehr ganz so schwer. An Pflanzenstängeln fallen uns unterdessen die Schaumgebilde auf, in denen die Larven der Wiesenschaumzikade zu finden sind.

Von den Larven der Wiesenschaumzikade erzeugter Schaum

Extensive Mähwiesen in Gramais

 

 

 

 

 

 

 

 

An einem Böschungsstandort können wir eindrucksvoll erkennen, dass es meistens durch eine Beobachtung der vorherrschenden Wuchsformen möglich ist, eindeutige Rückschlüsse auf die wichtigsten Standortbedingungen zu ziehen (Pflanzen als Indikatoren). Die Hochstaudenflur in der steilen Straßenböschung ist dauerhaft gut mit Wasser versorgt, die Pflanzen hier können sich auch große Blattoberflächen leisten. Wir stoßen mit der Alpen-Pestwurz nicht nur auf brauchbares Notfall-Klopapier, sondern mit dem Arznei-Baldrian auch auf eine geschätzte Heilpflanze und der Kohldistel auf ein geschätztes Wildgemüse. Zwei potentiell tödlich giftige Arten aus der Gattung Eisenhut (Bunter Eisenhut und Gelber Eisenhut) und die nach ihrem außergewöhnlichen Lebenszyklus benannte und in seltenen Fällen mit Bärlauch verwechselte Herbstzeitlose erinnern uns daran, bei der Verwendung heimischer Wildpflanzen mit größter Vorsicht vorzugehen. Später kommt mit dem Blauen Eisenhut sogar noch die giftigste Pflanze Europas dazu.

Kopfige Teufelskralle in artenreicher Mähwiese

Zarte Sommerwurz, ein Vollschmarotzer

 

 

 

 

 

 

 

Mit nun schon differenzierterem Wiesenblick stoßen wir auf eine steile Mähwiese oberhalb der Straße, deren Artenzusammensetzung auf eine weniger intensive Bewirtschaftung hinweist. Die charakteristische Magerwiesen-Margerite und die elegante Akelei deuten auf wenig Düngung hin. Dazu gesellen sich volksmedizinisch geschätzte Heilpflanzen wie der Gemeine Augentrost, der Mittlere Wegerich und die Gemeine Schafgarbe. Diese Wiesen werden höchstens zweimal pro Jahr gemäht. Wir haben das Glück, sie Mitte Juni kurz vor dem ersten Schnitt in ihrer größten Blütenpracht zu erleben. Die Kopfige Teufelskralle, verschiedene Glockenblumen und der Kleine Wiesenknopf sind nur einige der Arten, die zum bunten Wiesenidyll beitragen. So schön und artenreich könnten unsere heimischen Mähwiesen sein, wenn wir nur das Problem der Überdüngung in den Griff bekommen würden. Der Zottige Klappertopf, der auf Wiesengräsern parasitiert, ist ein so genannter Halbschmarotzer – die Zarte Sommerwurz aus der selben Familie ist hingegen selbst gar nicht mehr zur Photosynthese fähig und zapft stattdessen Schmetterlingsblütler an.

Faszinierender Bestäubungsmechanismus beim Wiesen-Salbei

Das kalkliebende Alpen-Berghähnlein

Auf den extensiv genutzten Wiesen sind Orchideen in großer Anzahl vertreten. Das Große Zweiblatt wirkt auf den ersten Blick unscheinbar, das Fuchs-Knabenkraut ist mit seinem rosa Blütenstand und den gefleckten Blättern schon auffälliger. Die Wohlriechende Händelwurz prägt sich mit ihrem betörenden Geruch ins Gedächtnis. All diese Arten haben winzig kleine Samen, die nur in Symbiose mit Pilzen zu keimen und das „Licht der Erde“ zu erblicken vermögen. An einer trockeneren Stelle probieren wir den Bestäubungsmechanismus des Wiesen-Salbeis aus und kosten Breitblättrigen Thymian. Eine deutlich stärkere Wüchsigkeit herrscht auf der so gennanten Lägerflur, wo die konkurrenzstarken Arten Alpen-Ampfer, Brennnessel und Guter Heinrich von der guten Näährstoffversorgung durch die Ausscheidungen der Weidetiere profitieren. Magerer braucht es das hübsche Alpen-Berghähnlein oder Narzissen-Windröschen. Diese kalkliebende Rarität lassen wir gerne als Höhepunkt unserer Wiesenwanderung stehen, und nehmen aus der kleinsten Gemeinde die große Lektion mit, wie artenreich und optisch ansprechend unsere Kulturlandschaft bei entsprechender Bewirtschaftung sein könnte.

Am Abend mit dem Entomologen Mag. Kurt Lechner, der seit vielen Jahren den Natopia Erlebnisunterricht zum Thema Insekten konzipiert und betreut, steht eine Einführung in die Welt der Sechsbeiner auf dem Programm. Ziel ist es, bei der Abendeinheit im Gemeindezentrum Elmen genügend Grundverständnis zu vermitteln, um am nächsten Tag bei der Exkursion nach Forchach an den Lech darauf aufbauen zu können und Insekten eigenständig zu beobachten und zu erforschen. Insekten, die seit etwa 400 Millionen Jahren die Erde bewohnen, beeindrucken schon alleine durch ihre Formen- und Artenvielfalt. Fast eine Million Insektenarten wurden bisher beschrieben (Schätzungen gehen von bis zu 30 Millionen Arten aus), damit verkörpern sie 60 Prozent des tierischen Artenreichtums. In Österreich gibt es etwa 37.000 Arten, mehr als im angrenzenden und flächenmäßig viel größeren Deutschland. Den Löwenanteil der Vielfalt stellen die Ordnungen der Käfer, Schmetterlinge, Hautflügler und Zweiflügler, wobei es besonders bei letzteren beiden Gruppen noch große Wissenslücken gibt. Anscheinend beschäftigen sich auch Wissenschaftler*innen lieber mit Schmetterlingen als mit Mücken! Jedes Jahr werden weltweit mehrere tausend Insektenarten neu beschrieben. Die traurige Seite der Vielfalt ist, dass jährlich im Zuge des anthropogenen („menschgemachten“) Massenaussterbens eine noch viel größere Zahl an Insekten für immer verschwindet. 40 Prozent aller Insektenarten sind laut einer australischen Metastudie vom Aussterben bedroht, und der Rückgang in den Populationsgrößen ist noch erschreckender. Viel internationale mediale Aufmerksamkeit hat die sogenannte „Krefeld-Studie“ erhalten, welche auf Biomasseaufnahmen fliegender Insekten in Schutzgebieten über fast drei Jahrzehnte aufbaut. Die Biomasse fliegender Insekten hat im Beobachtungszeitraum um 76-81 Prozent abgenommen! Diese und andere Veröffentlichungen und Kampagnen haben dazu geführt, dass nach dem Klimawandel nun auch der weltweite Lebensraumverlust und das globale Artensterben langsam in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rutschen. Nicht nur für Insektenfreunde, sondern für alle Menschen hat diese Entwicklung viel Gewicht. Insekten verarbeiten organisches Material, bestäuben 90 Prozent der Blütenpflanzen, sind an vielen Stellen in die Nahrungsnetze eingebunden und damit wichtige ökologische Regulatoren. Mit der Effizenz einer Hummel, die in hundert Minuten 2.600 Blüten bestäubt, werden die menschlichen Obstbaum-Bestäuber in Chinas „Bestäuberwüsten“ nicht mithalten können. Im Anschluss an die allgemeine Einführung werden die wichtigsten Gruppen von Insekten kurz angesprochen, bevor der allgemeine Körperbau dieser Tiergruppe behandelt wird: der dreigeteilte Körper mit sechs Beinen am Brustteil (Thorax), die zeitlich hochauflösenden Facettenaugen (bestehend aus bis zu jeweils 30.000 Einzelaugen bei Libellen), die Stigmen genannten seitlichen Öffnungen des Tracheensystems zur Atmung, das Exoskelett (Panzer unter anderem aus Chitin), um nur einige Grundmerkmale zu nennen. Gegen Ende des Abends gelingt es Kurt, die langsam eintretende Müdigkeit mit tollen Präparaten heimischer und tropischer Insektenarten – von winzig klein bis riesengroß – nochmal zu vertreiben.

Kurt Lechner ist ein geduldiger Lauerjäger

Baldrian-Scheckenfalter auf Kuhfladen

Den Großteil des darauffolgenden Tages verbringen wir in Forchach, wo wir auch Gelegenheit haben, die im Zuge eines großen Renaturierungsprojekts durchgeführte Flussbettaufweitung zu begutachten und die neu gebaute Hängebrücke zu beschreiten. Nun ist hier die wichtige Verbindung zweier vormals durch einen „Flaschenhals“ voneinander abgetrennten Wildfluss-Abschnitte bei Forchach und Weißenbach ersichtlich – Flussuferläufer und Flussregenpfeifer freuen sich. Schon während der Wanderung zum angepeilten Standort gibt es allerlei zu entdecken. Dass Schmetterlinge mit ihrem ausrollbaren Rüssel nicht nur Nektar trinken, zeigt der Baldrian-Scheckenfalter, der sich gerade an einem Kuhfladen labt. Am flachen Quellgewässer am Wegesrand probiert Kurt mit einigen Kursteilnehmer*innen gleich die Insektenkescher aus – mit den Libellen haben sie sich sofort in die Königsklasse gestürzt, da diese Tiere ein exzellentes Sehvermögen besitzen und mit ihren unabhängig steuerbaren zwei Flügelpaaren sehr schnell und wendig sind. Die Geduld unserer Lauerjäger wird schließlich durch den Anblick von Plattbauch, Südlichem Blaupfeil und Früher Adonislibelle in der Becherlupe belohnt. Besonders die beiden ersteren Großlibellenarten eignen sich gut, um das vorsichtige Handling dieser Tiere zu üben und die wichtigsten Körpermerkmale ganz aus der Nähe zu betrachten.

Traumhafte Wildflusslandschaft am Lech

Aufs richtige Handling kommt es an

Obwohl wir uns beim Luambachl am Rand des Rotföhren-Trockenauwalds in erster Linie mit Bestimmungsübungen und Besprechung einzelner Arten beschäftigen, kommt Kurt um ein kurzes Plädoyer zum Thema Landwirtschaft nicht herum. Als Insektenfreund seit Kindheitstagen hat er das schleichende Artensterben und den dramatischen Rückgang der Populationen selbst miterlebt. Der Verlust an Strukturelementen in der Landschaft, der Rückgang der Pflanzenvielfalt durch Überdüngung und intensive Nutzung (u.a. häufige Mahd) sowie der verbreitete Einsatz von Pestiziden haben deutliche Spuren hinterlassen. Vereinzelte Blühstreifen in Vorgärten werden dieses gesellschaftliche Problem nicht lösen können, daher führt laut Kurt kein Weg an einer groß angelegten Agrarreform vorbei. Auch den im Trend stehenden Saatmischungen für Bienen und Schmetterlinge steht unser Insektenexperte skeptisch gegenüber, da meist standortfremdes Saatgut mit wenig passenden Arten zum Einsatz kommt. Unterdessen drehen die befüllten Sammelgefäße und Becherlupen die Runde und sorgen für große Augen, während die Ohren für Kurts Hintergrundwissen und Zusatzinformationen aufsaugen. Blutströpfchen und Blutzikade stellen ihre Giftigkeit mit Rot als Warnfarbe selbstbewusst zur Schau und lassen sich so besonders leicht einfangen. Mit dem Kleinen Fuchs und dem Gemeinen Bläuling bekommen wir häufige Tagfalterarten ins Netz, der seltenere Rotrand-Bär und die FFH-Art Thymian-Ameisenbläuling waren den meisten hingegen noch nicht bekannt.

Der seltene Thymian-Ameisenbläuling

Hummeln sind in Österreich vergleichsweise artenreich vertreten

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf dem Weg zum Lechufer und den Schotterbänken zwingt uns die Deutsche Tamariske, durch ihre Spezialisierung auf die Wildfluss-Dynamik eine botanische Rarität im Alpenraum, zu einem kurzen Exkurs ins Pflanzenreich. Auch an der Orchideenvielfalt im Schneeheide-Rotföhrenwald können wir nicht einfach so vorbeilaufen. Ein Höhepunkt ist hier die Blüte der Fliegen-Ragwurz, einer so genannten Insektentäuschblume, die mit Form, Farbe und Geruch vor allem Wespen anlockt, ohne im Gegenzug Nektar anzubieten. Auf der Schotterbank angekommen, führt uns Kurt in das zweite seiner Spezialgebiete ein. Neben Schmetterlingen beschäftigt er sich intensiv mit heimischen und tropischen Heuschrecken. Hier am Lechufer haben wir nach kurzer Suchphase glatt die drei Top-Charakterarten für diesen Lebensraum vor. Die Gefleckte Schnarrschrecke ist mit ihrem Wechsel zwischen optisch und akustisch auffälligem „Schnarrflug“ und perfekter Tarnung zwischen Steinen der Star auf der Schotterbank; sie ist auch für Laien leicht auszumachen. Ein geschulterer Blick ist nötig zur Identifizierung des Kiesbank-Grashüpfers und Türks Dornschrecke.

Faszinierende Fliegen-Ragwurz

Nervenkitzel mit tropischen Gespenstschrecken

Während der heißesten Nachmittagsstunden ziehen wir uns nochmals in den Gemeindesaal zurück mit dem Vorhaben, die Kerninhalte nochmals zu festigen. Kurt vermittelt in einer Präsentation den Überblick über die wichtigsten heimischen Insektenordnungen und deren anatomischer Unterscheidungsmerkmale, damit die Wanze auch Wanze bleibt und nicht zum „Stinkkäfer“ oder „Feuerkäfer“ wird. Mittels heimischer und exotischer Präparate wird die Bestimmung auf Ordnungsniveau geübt. Für große Augen und etwas Nervenkitzel sorgen die lebenden Exemplare tropischer Gespenst- und Stabschrecken, mit denen die Kursteilnehmer*innen auf Tuchfühlung gehen können. Diese gehören zu den größten Insektenarten weltweit, wodurch auch der allgemeine Körperbauplan der mannigfaltigen Sechsbeiner besonders gut ersichtlich ist. Ob Insekten nun die heimlichen „Herrscher der Erde“ sind oder nicht, uns haben sie mit ihrer Formen- und Farbenvielfalt jedenfalls ganz in ihren Bann gezogen!

Vor dem Abendessen sind wir noch im einzigartig gelegenen Naturparkhaus auf der Klimmbrücke zu Gast. Wir haben grünes Licht für das Betreten der Brücke und des Hauses, die wenige Tage vorher aufgrund einer statischen Schwachstelle noch komplett gesperrt waren. MA Nora Schneider vom Naturpark Tiroler Lech erzählt von den naturkundlichen Besonderheiten ihres Einsatzgebiets und stellt einige Schwerpunkte der Naturparkarbeit vor.

Am Samstagmorgen sind wir bei der Hammerschmiede in Vils mit der Biologin Mag. Caroline Winklmair verabredet, ihres Zeichens Schutzgebietsbetreuerin im Lechtal und eine der Biberbeauftragten des Landes Tirol. Sie nimmt uns mit auf eine spannende Tour durch „ihr“ Biberrevier – kurioserweise genau jenes Gebiet, aus dem vor gut 200 Jahren der letzte Biber Tirols entnommen wurde. Seit wenigen Jahrzehnten erlebt der Biber entlang der Tiroler Wasserläufe ein grandioses Comeback. Bevor wir in den vom Biber landschaftlich deutlich umgestalteten Bereich an der Vils kommen, beobachten wir zum Vergleich einen schneller fließenden, weniger strukturreichen Flussabschnitt. Daraufhin werden wir Schritt für Schritt tiefer in die Welt des Bibers eingeführt, begleitet von den Zeichen am Weg, für die uns Caroline sensibilisiert. Nach den keil- und kegelförmigen Bissspuren an gefällten Ufergehölzen erreichen wir einen so genannten Nebendamm, der dem Biber hilft, Nahrungsquellen besser und sicherer zu erschließen, ohne sich je weit vom Wasser weg bewegen zu müssen. Studien aus Bayern bezüglich der Fischbestände in Biberrevieren haben gezeigt, dass sich in Folge der Bibertätigkeit Artenvielfalt und Populationsdichten steil nach oben entwickeln. Anhand verschiedener Präparaten beschäftigen wir uns mit den Besonderheiten von Gebiss und Fell des ganzjährig aktiven Pflanzenfressers. Wo die Gewässertiefe unter natürlichen Bedingungen den Ansprüchen des Bibers bezüglich seiner Wohnsituation nicht gerecht wird, hilft er mit dem Hauptdamm nach. Unsere Tour gipfelt am Mittelbau, wo wir Interessantes über die Bauten und Familienstruktur des Bibers erfahren. Caroline ist überzeugt, dass durch Aufklärung in der Bevölkerung viele Biber-Vorurteile ausgeräumt werden und so mancher wahrgenommener Interessenskonflikt dadurch im Keim erstickt werden kann.

Caroline Winklmair hat einen Biber im Gepäck

Fälltätigkeit in Ufernähe

 

 

 

 

 

 

 

Expedition durchs Biberrevier

Beobachtung des Biberbaus

 

 

 

 

 

 

 

Im Bereich des Keltischen Baumkreises, wo wir bei hochsommerlicher Hitze inmitten einer beeindruckenden Blütenpracht die Mittagspause genießen, treffen wir am Nachmittag den pensionierten Biologielehrer und Natopia-Urgestein Mag. Hubert Salzburger. Er hat neben dem Imkern, Gärtnern und der Naturkunde im Allgemeinen eine besondere Leidenschaft für die Makrofotografie von Blüten und deren Besuchern. Später werden wir noch tiefer in diese faszinierende Welt eintauchen, aber vorher wollen wir noch kurz mit Hubert in der artenreichen Magerwiese zwischen den Bäumen aus dem Vollen schöpfen. Er hat zu beinahe jeder Art Geschichten auf Lager, von der Namensherkunft über Verwendung oder Giftigkeit bis hin zu ökologischen Besonderheiten. Gleich zu Beginn des Spaziergangs bekommen wir mit der Türkenbundlilie, der Großen Sterndolde und der Akeleiblättrigen Wiesenraute drei Augenweiden präsentiert. Das unscheinbare Große Zweiblatt mit seiner Nektarrinne, welches von Wespen bestäubt wird, leitet den Orchideenreigen ein – Mücken-Händelwurz und Fuchs-Knabenkraut bieten rosa Akzente und spannende Hintergrundgeschichten. Wiesen-Witwenblume, Knäuel-Glockenblume, Wiesen-Flockenblume und Berg-Flockenblume leiten auf lila und violett über. Sowohl Blütenfarbe als auch -form erlauben Rückschlüsse auf die Co-Evolution mit Insekten. Die Rote Lichtnelke darf betastet werden und dient als Beispiel für zweihäusige Blütenpflanzen, bei denen „die Ehepartner viel Freiraum brauchen und nicht nur getrennte Schlafzimmer haben, sondern gar in getrennten Häusern wohnen“.

Hubert Salzburger hat zu jeder Pflanze eine Geschichte

Türkenbundlilie mit Bestäuber

 

 

 

 

 

 

 

 

Den Vortrag im angenehm temperierten Gemeindesaal starten wir mit Bildern, die fast aus einer anderen Welt zu kommen scheinen – in Wirklichkeit sind viele davon in Huberts Garten entstanden. Es ist aber nicht nur die ästhetische Schönheit, die ihn zu dieser Beschäftigung bringt, sondern auch das Studium und Verständnis der faszinierenden Wechselbeziehungen zwischen Blütenpflanzen und ihren Bestäubern – eines der offensichtlichsten und bekanntesten Beispiele für Co-Evolution. Viele sind es gewohnt, beim Thema Bestäubung sofort an die Honigbiene zu denken. Oft wird dabei vergessen, dass eine Vielzahl von Insektengruppen diese ökologische Funktion übernimmt: Wildbienen (mehr als 600 Arten in Österreich!), Schmetterlinge, Fliegen, Wespen, Ameisen und Käfer sind an jeweils unterschiedliche Blütenformen angepasst. Die Form eines bestimmten Blütentyps erlaubt also Rückschlüsse auf die Anatomie und das Verhalten der jeweiligen Bestäuber. Für die auffälligen und großen Scheibenblüten verwendet Hubert gerne die Metapher des Fast-Food-Restaurants („viel Werbung, alle willkommen“), während die Röhrenblütenform mit ihrer erschwerten Zugänglichkeit zum Nektar eher das Bild eines exklusiven Feinschmeckerlokals aufkommen lässt (langer Rüssel als „Eintrittskarte“). Auch Schalenblüten, Lippenblüten, Glockenblüten und Stieltellerblüten haben jeweils Vor- und Nachteile und komplexe mutualistische Beziehungen mit ihren Bestäubern. Doch nicht immer muss die Interaktion von beiden Parteien gewollt sein: Wir erfahren vom „Insekten-Kidnapping“ des Frauenschuhs und dem „Nektardiebstahl“ durch Hummeln.

Wohlriechende Händelwurz

Berg-Flockenblume

 

 

 

 

 

 

 

Auch der Sonntag macht wettermäßig seinem Namen alle Ehre. Ein Glück, dass wir mit der Pflacher Au einen wassergeprägten Lebensraum als Exkursionsgebiet auf dem Programm haben. Mag. Silvia Hirsch hat in ihrer Laufbahn zwischen Pädagogischer Akademie und Innsbrucker Alpenzoo genug Praxiserfahrung sowohl mit Vermittlung als auch mit Tieren gesammelt, um der Gruppe einen niederschwelligen Einstieg in die faszinierende Vogelwelt zu bieten. Der Treffpunkt im Schatten des 18 Meter hohen Vogelbeobachtungsturms ist gut gewählt. Die Erstannäherung an die Vögel erfolgt über ihre Stimmen. Neben den vor allem für das Frühjahr typischen Gesängen zur Partnerfindung und Revierabgrenzung sind ganzjährig artspezifische Warnrufe zu hören. Da unser Gehirn dazu verleitet ist, ungefährlich klingende Hintergrundgeräusche einfach auszublenden, erinnern wir uns bewusst daran, die Lauscher weit aufzusperren. Vogelkundler*innen wissen sich mit Merksätzen und Vergleichen zu helfen, um im Stimmenwirrwarr den Überblick zu behalten. Vom „würzigen Bier“ des Buchfinks und dem „zerbrochenen Glas“ des Hausrotschwanzes über die „Wiederholungstäterin“ Singdrossel bis hin zu Vögeln, die ihren eigenen Namen singen (Zilpzalp, Kuckuck, Uhu), reicht die Palette der Eselsbrücken. Regionale Dialekte, die es auch in der Vogelwelt gibt, machen die Auseinandersetzung noch interessanter.

Silvia Hirsch auf dem Vogelbeobachtungsturm

Fundstück Graureiherfeder

 

 

 

 

 

 

 

Für eine Beobachtungsaufgabe suchen sich die Kursteilnehmer*innen mit Fernglas und einem Vordruck ausgestattet einen passenden Platz im Feuchtgebiet. Ziel ist es, nur durch aufmerksame Beobachtung so viele Eigenschaften wie möglich einer Vogelart zu sammeln, ohne deren Namen zu kennen. Bei der Besprechung kommen gleich drei typische Arten des Feuchtgebiets zur Sprache. Das Blässhuhn ist mit seinen roten Augen und Schwimmlappen kaum zu verwechseln. Das beobachtete Paar gab die typischen hupenartige Laute von sich. Der Graureiher gab sich am typischen Flugbild zu erkennen, die Reiherente hingegen am typischen Schopf und der Fähigkeit zum Abtauchen. Die Mehlschwalben und Mauersegler waren schwieriger zu beobachten, da sie ohne Flugpause in mittlerer Höhe über der Wasserfläche jagen. Einen Überblick über das Feuchtgebiet verschaffen wir uns vom Vogelbeobachtungsturm aus. Die Wasserflächen sind umgeben von Schilfrohr- und Rohrkolbenbeständen und teilweise von Weißen Seerosen bedeckt. Beim Abstieg vom Turm treffen wir zufällig einen, der die Ausbildung zum Naturführer schon hinter sich hat. Naturpark-Ranger Stefan Müller begleitet uns ein kleines Stück und gewährt uns einen Einblick in sein Tätigkeitsfeld. Auf den Schotterbänken des Lech machen wir ein Paar von Flussregenpfeifern samt Nachwuchs aus und genießen die Beobachtung mit Fernglas – ein würdiger Höhepunkt des Vormittags!

Perfekt gerüstet für jedes Wetter

Flussregenpfeifer-Beobachtung

 

 

 

 

 

 

 

Die Beobachtung von Säugetieren in freier Wildbahn gestaltet sich noch schwieriger als bei Vögeln, besonders in Gruppensituationen. Über das Studium von Trittsiegeln und Fährten können wir allerdings auch scheue Tiere mitten in unsere Naturführungen hereinholen, ohne sie direkt zu Gesicht zu bekommen. Wie intensiv die Pflacher Au als Naherholungsgebiet genutzt wird, zeigen die zahlreichen Spuren der aufrecht gehenden Zweibeiner und ihrer vierbeinigen besten Freunde. Bei unserer Suche quer durch den Auwald spielen allerdings die Fraßspuren und Hinterlassenschaften kleinerer Tiere die Hauptrolle. Wir stoßen auf die sogenannten Ananasgallen der Großen Fichtengalllaus und sprechen über deren komplexen Lebenszyklus, für den es neben der Fichte auch die Lärche braucht. Die Gänge von Minierfliegen und -motten bilden interessante Muster und erzählen Geschichten. Das gefundene Schneckenhaus stammt möglicherweise aus einer Drosselschmiede. Vor allem die Zweige der Roten Heckenkirsche sind mit Wollläusen übersät. Am Boden finden wir von Eichhörnchen abgebissene Fichtentriebspitzen – die Pollenpakete dieser Baumart sind eine willkommene Winternahrung. Die Reste eines Enteneis erkennen wir an der Farbe und typischen Form und Größe. Auf verschiedenen Weidenarten findet ein regelrechtes Massenauftreten des Gefleckten Weidenblattkäfers statt – sowohl Puppenhäute als auch Imagines (adulte Insekten) sind in großer Zahl auszumachen. Die Vögel lassen sich vom Buntspecht und seinen Fraßhöhlen vertreten, die Paarhufer von Rothirsch (Losung) und Reh (Trittsiegel). Wir lassen den Tag wieder im Schatten des Vogelbeobachtungsturms ausklingen mit den tollen Präparaten und Anschauungsmaterialien zu Vögeln und Säugetieren, die Silvia im Kofferraum mitgebracht hat.

Prachtlibelle am Lech

Entenei

Sammlung Tierspuren

Eichhörnchenzapfen

Wir blicken schwitzend aber dankbar zurück auf vier inhalts- und erlebnisreiche Tage im Naturpark Tiroler Lech, und mit Vorfreude nach vorne in Richtung Gebirgsmodul im Nationalpark Hohe Tauern.

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