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20200417 111122

Schreckliche Drachen und edle Ritter

Während der Quarantänezeit war alles ganz einfach: Morgens aufstehen, frühstücken, malen, oder schreiben, ein bisschen aufräumen, Yoga und Meditation, Abendessen, und vielleicht noch im Bett lesen.

Auf der Autobahn von Italien nach Reutte habe ich mir noch ausgemalt, wie ich die Quarantäne überstehen werde: Ganz früh vor Sonnenaufgang den Wecker stellen –  oder spät Abends im dunkeln – mich heimlich aus dem zweiten Stock hinunter schleichen und möglichst ungesehen zum Lech joggen. Dann halte ich die 2 Wochen durch, dachte ich. Aber unsere Bekannten schickten uns schon am ersten Abend Fotos wie: „Wollten mit dem Hund zum Urisee spazieren, aber am Mühlerfeld stand die Polizei. Sind wieder umgekehrt.“
Also habe ich den abtrünnigen Gedanken wieder aufgegeben.

Erinnerungen an die Südalpen

Wanstheuschrecke

Statt dessen stöberte ich in den Bildern von unserer Alpenüberquerung und suchte meine Lieblingsfotos heraus. Das waren eindeutig die Heuschrecken. Das südlichen Piemont, die Seealpen, war ein Paradies für die unterschiedlichsten kleinen „Drachen“,wie sie mir vorkamen. Langbeinig, knackige Oberschenkel, dunkelbraune runde Knopfaugen, Fühler in allen Längen, verschiedenste Farbkombinationen, das hat mich mich fasziniert. Einmal habe ich miterlebt, wie ein großes Weibchen ( ich glaube Heupferd) seinen langen Legestachel in die staubige Erde immer wieder hinein schob und Eier legte (Damals dachte ich: „was macht das Tier denn da?“).

Ich beobachtete sie beim Paaren, manche haben mir auch ziemlich fest in den Finger gebissen, sodass er sogar geblutet hat! Kaum zu glauben, welche Kraft in ihren Mundwerkzeugen steckt! Sie sind neugierig und krabbeln gleich auf deinen Finger, wenn du still hältst. Aber Achtung, dann heißt es Zähne zusammenbeißen!

Dornschrecke

Toll war auch, wie gut sie sich farblich an die Umgebung anpassen. Ich kenne mich nicht besonders gut aus bei Heuschreckenarten, aber das war nicht wichtig. Das schönste war, sie zu beobachten und zu fotografieren. Für mein Gemälde, das ich über die gesamte Quarantänezeit malte, hatte ich ein Lieblingsexemplar gefunden. Diese Heuschrecke symbolisiert wohl, wie sehr mich diese Tiere begeistert haben während der Wanderungen. Es ist die Dornschrecke, die ihr da entdecken könnt. Sie schimmert golden! Und es war nicht einfach, so einen schönen Farbton mit meinen Ölfarben zusammenzumischen! Mehr über meine Kunst findet ihr auf meiner Homepage

Innere und äußere Konflikte

Die Tage vergingen zuerst nur langsam, und am Gründonnerstag freute ich mich, dass die erste Woche bald vorbei war. Zu dieser Zeit war ganz Österreich im Quarantänezustand. Wegen Corona durfte niemand mehr vors Haus, außer zum Einkaufen. Und niemals zuvor war mir so bewusst, wie leicht eine Diktatur durch Angstmachen entstehen kann.  Gegenüber, im Hotel Moren, war das Militär einquartiert, und wir sahen sie morgens vom Fenster aus, wenn sie ausrückten, um die Grenzen zu kontrollieren.

In unserer Wohnung wurde es nachmittags ungemütlich kalt, weil alle Heizungen anscheinend während der Geschäftszeiten aufgedreht waren und sie dann automatisch abschalteten. Ostern nahte, die oder der nette MitarbeiterIn von der BH rief weiterhin jeden 2. Tag an wie es uns geht und wir sagten „gut“. Das stimmte nicht ganz, den Jürgen bekam ab Karfreitag immer mehr Kopfweh und wir nahmen an er hatte sich in der kalten Wohnung verkühlt. Aber der BH wollte ich das noch nicht mitteilen, weil mir die Raumanzugmenschen und die ganze Prozedur sehr unangenehm waren. Also warteten wir. Jürgen bekam immer mehr Kopfweh und sogar Fieber. Dienstag nach Ostern haben wir es dann der BH verraten, und dann kam am nächsten Tag eine Raumanzugfrau und machte von uns beiden einen Test. Wir waren uns fast sicher, dass es nur eine Erkältung ist, aber ein bisschen Angst hatten wir schon vor dem Ergebnis. Und am nächsten Tag dann der Telefonanruf von der BH: „Alles in Ordnung, sie sind Negativ!“ Also eine positive Nachricht!

Neben der Heuschrecke war da noch ein weiteres Insekt, das mich unheimlich begeistert hatte in den Südalpen.  Ich hatte es vorher noch nie so nah und häufig gesehen: Es ist der rote Apollofalter.  2 Rote Punkte an den Hinterflügeln, schwarz umrandet, und schwarze Flecken an den Vorderflügeln. Laut Wikipedia ist er in Europa stark bedroht (wundert’s einen?) und streng geschützt, aus der Familie der Ritterfalter. In Ruhestellung kommen die Flecken besonders zur Wirkung, und die Schmetterlinge werden deshalb von Vögeln und Eidechsen nicht gefressen. Als Vertreter der edlen Ritterfalter hat er sich also statt einer Metallrüstung eine Tarnrüstung zugelegt, welch edler Ritter! Leider waren die Fühler bei unserem Fotomodell nicht schwarz weiß geringelt, sonst hätte ich sogar einen Alpenapollo getroffen, was für mich einer Begegnung mit dem Dalai Lama gleichkommt.

Heldin bin ich keine. Auch Parzival hat sich erst zum Helden entwickelt, er musste einige Kämpfe ausfechten und Mitgefühl zeigen mit der Frage an seinen Oheim: „Wie geht es Dir Oheim?“ Erst dann fand er den heiligen Gral!

Ostersonntag, ganz früh am Morgen habe ich den Wecker gestellt und habe mich endlich heimlich hinaus geschlichen. Es war noch dunkel, die Vögel haben bereits gezwitschert und ich lief hinunter zum Lech. Ich habe die Luft tief eingeatmet und mich ans Ufer gesetzt. Dort habe ich ein imaginäres Osterfeuer angezündet, wie es sich gehört und alles Unnütze des vergangenen Jahres verbrannt. Die Sonne ging auf und färbte die Gehrenspitze rosa. Dann stand ich auf und ging befriedigt und glücklich wieder in die Quarantäne. Jürgen schlief noch tief und fest und ich machte das Osterfrühstück mit einem frischen Blumenstrauß aus Himmelschlüssel.

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