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Den Wald unter die Lupe nehmen – Tiroler Naturführer:innen im Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen, 18.-21. Mai 2023

Im zweiten Modul des Tiroler Naturführerkurses 2023 (18.-21. Mai) steht der Wald im Mittelpunkt der naturkundlichen Auseinandersetzung. Obwohl der Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen, wie der Name schon andeutet, vor allem wegen seiner Hochgebirgslagen und Gletscher weithin bekannt ist, haben wir hier auch zur Beschäftigung mit dem Lebensraum Wald ein tolles Ambiente gefunden. Vom Eingang des Zillertals bis hoch in den Zemmgrund hinter Ginzling sind die Standorte für die einzelnen Einheiten so ausgewählt worden, dass die für den Alpenraum typischen Höhenstufen der Waldvegetation allesamt präsent sind. Nur was die Wald- und Baumgrenze betrifft, begnügen wir uns vorerst mit dem Blick durchs Fernglas. Im letzten Modul der Ausbildung werden wir uns auch diese Höhenstufe noch erwandern. Gruppe 2 residiert im Cafe Alpenland im Bergsteigerdorf Ginzling in der von Fichten dominierten Bergwaldstufe – auf halber Höhe sozusagen zwischen dem tiefmontanen Wald des Inntals und der Zirben-Waldgrenze des Alpenhauptkamms.

Mykologe Eberhard Steiner

Landkartenflechte auf Felsen

Kaum ein Lebensraum eignet sich so gut zur Verdeutlichung und direkten Beobachtung der Kreisläufe des Lebens wie der Wald. Auf engstem Raum treffen vor allem in naturnahen Wäldern Wachstum und Absterben, Zersetzung und Erneuerung aufeinander. Pilze spielen eine bedeutende Rolle in diesen Stoff- und Energiekreisläufen. Während wenige bekannte Speisepilze wie Steinpilz und Pfifferling sich großer Bekanntheit erfreuen, und einige Arten wie der giftige Fliegenpilz oder der potentiell tödliche Grüne Knollenblätterpilz als Kuriositäten bekannt sind, führen die meisten Arten des Waldes ein Schattendasein außerhalb unserer Wahrnehmung. Mykologe (Pilzexperte) Eberhard Steiner verbringt den ersten Kurstag im Bergsteigerdorf Ginzling mit uns, um Licht in dieses Dunkel zu bringen. Er versteht es, unscheinbare und weniger auffällige Arten mit spannenden Geschichten und viel Humor zu vermitteln. Bei der nachmittäglichen Exkursion wird schnell klar, dass es auch außerhalb der „Schwammerlzeit“ jede Menge zu entdecken gibt im Gelände – und zwar im Umkreis von wenigen Schritten.

Davor aber gibt es noch eine ausführliche Einführung in die faszinierende Welt der Pilze und Flechten. Mit Anschauungsmaterial und vielen Bildern im Gepäck sorgt Eberhard für so manchen Aha-Moment. Wurden vor einigen Jahrzehnten Pilze in der Biologie noch als Pflanzen ohne Chlorophyll (Blattgrün) kategorisiert, bilden sie mittlerweile neben den Tieren und Pflanzen ein eigenes drittes Reich innerhalb der sogenannten eukaryotischen Lebensformen (darunter versteht man Lebewesen mit einem echten Zellkern, im Unterschied zu den prokaryotischen Bakterien und Archeen). Die Verwandtschaft mit den Tieren ist sogar enger als jene mit den Pflanzen. Viele Eigenschaften teilen sie mit ersteren (Ernährung durch organische Nährstoffe ihrer Umgebung, Glykogen als Speicherstoff), andere wiederum mit Pflanzen (Vorhandensein von Zellwänden und Vakuolen, Sesshaftigkeit). Außerdem erfahren wir Grundlagen zu Aufbau, Lebensweise, Vermehrung, Nutzung und kulturgeschichtlicher Bedeutung der Pilze. Immer wieder werden mögliche Antworten auf die bei Pilzexkursionen am häufigsten auftauchenden Fragen seitens interessierter Laien diskutiert. Dabei kommen wir öfters auf die Frage „Was hat das alles mit mir zu tun?“ zurück – schier unendlich sind die Möglichkeiten, um mit spannendem Pilzwissen direkt an der Lebensrealität der Teilnehmer:innen anzuknüpfen. Optisch und auch haptisch beeindruckend sind die Baumpilze, die Eberhard als Anschauungsmaterial mitgebracht hat. Der bekannte, aber bei uns recht seltene Zunderschwamm ist auf geschwächten Buchen- oder Birkenstämmen zu finden – und war zusammen mit dem Birkenporling Bestandteil von Ötzis Transalp-Gepäck. Den häufigeren, aber nicht minder beeindruckenden Rotrandigen Baumschwamm oder Fichtenporling findet man im Bergwald öfter.

Bei der nachmittäglichen Exkursion halten wir zuerst nach Flechten Ausschau – jahreszeitbedingt haben wir hier mehr Aussicht auf Erfolg als bei den Pilzen. Die Bezeichnung Flechte steht für eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen einem oder mehreren Pilzen und einer oder mehreren Photosynthese betreibenden Partnerarten (diese Rolle nehmen Grünalgen oder Cyanobakterien/Blaualgen ein). In der biologischen Systematik werden sie zwar im Reich der Pilze geführt, nehmen dort aber als eigene Lebensform eine Sonderstellung ein. Der Pilz bildet mit einem Geflecht aus Pilzfäden (Hyphen) den Körper der Flechte, innerhalb dessen die Photosynthese betreibenden und somit den Pilz miternährenden Algenpartner vergleichsweise gute Lebensbedingungen vorfinden – eine klare Win-Win-Situation. Ihr spezieller Aufbau und Stoffwechsel ermöglicht es Flechten, Lebensräume und Kleinstandorte mit schwierigen Bedingungen zu besiedeln und lange Zeit unter Extrembedingungen zu überdauern (im Versuch überlebten sie sogar zwei Wochen im All!). Daher müssen wir gar nicht erst in die Ferne schweifen, sondern machen gleich am ersten größeren Felsblock neben der Dorfkirche halt. Von den drei typischen Formtypen (Krusten-, Blatt- und Strauchflechten) besiedeln Vertreter ersterer den nackten Stein. Die Landkartenflechte auf Silikatgestein ist besonders einprägsam und leicht wieder zu erkennen. Auf schattigeren Felspartien werden wir später im Blockwald auch Vertreter des Formtyps Staubflechte („abwischbar“) entdecken. Unter den Strauchflechten sind die Bartflechten der Gattung Usnea, im Volksmund oft als Baumbart bezeichnet, als Zeigerorganismen für Luftqualität bekannt. Hundsflechten und Becherflechten laden zu genauer Beschau ein.

Bergsturz-Blockwald mitten in Ginzling

Fencheltramete am Geruch erkannt

Im naturnahen Bergsturz-Blockwald mitten in Ginzling stecken die Pilze noch in den Startlöchern. Aber dank Eberhards Hinweisen und dem geschärften Blick finden wir neben zuerst einmal Pilzgeflechte in allerlei totem organischen Material. Darunter sind die Cellulose abbauenden Braunfäule- und Lignin abbauenden Weißfäule-Pilze, die in der Waldwirtschaft ungern gesehen sind – unser Forschergeist freut sich hingegen über jeden Fund. Nach genauerer Nachsuche kommen auch schon die Fruchtkörper verschiedener kleinerer, aber nicht minder interessanten Arten zum Vorschein. Der giftige Rettich-Helmling und die duftende Fencheltramete werden vorsichtig beschnuppert, und spätestens beim winzigen Rosshaar-Schwindling werden die Einschlaglupen ausgepackt. Am Rotrandigen Baumschwamm wird gezündelt – die wie Plastik schmelzende Oberfläche ist typisch. Der leuchtend orange aufplatzende Blutmilchpilz als Vertreter der Schleimpilze und die zu „Hexenbutter“ quellenden Drüslinge runden das Kuriositätenkabinett ab. Mit einem Stäubling als Anschauungsobjekt und Beispielen für vertiefende Literatur sät Eberhard abschließend symbolträchtig die Sporen der Pilzbegeisterung. Eine ausgesprochene Pilzliebhaberin ist schon in unserer Gruppe – gut möglich, dass es ab heute mehr sind.

Zündelprobe beim Rotrandigen Baumschwamm

Mehr als staubige Theorie

 

 

 

 

 

 

 

Am späten Nachmittag kommt Willi Seifert, Geschätsführer des Hochgebirgs-Naturpark Zillertaler Alpen, in den Mehrzweckraum der Gemeinde Ginzling. Seine Begeisterung für die Arbeit und für das Gebiet, dem sie gilt, ist während des Vortrags zu Geschichte, Besonderheiten, Projekten sowie aktuellen Herausforderungen und Zielen des Naturparks zu spüren. Auch die Mischung aus Anspannung und Vorfreude hinsichtlich der bevorstehenden Neueröffnung des Naturparkhauses samt neuer Dauerausstellung.

Biologe und Erlebnispädagoge Peter Sader

Austausch in Bewegung

 

 

 

 

 

 

 

Die Glocke in Finkenberg, eine durch die tiefe Tuxbachschluch von der Ortschaft abgetrennte inselartige Geländeform, ist das Ziel unserer Exkursion am zweiten Tag. Mit dem Biologen und Erlebnispädagogen Peter Sader werden wir den Naherholungsraum als Outdoor-Spielplatz nutzen und uns nicht nur sprichwörtlich in das Feld der elebnispädagogischen Zugänge stürzen. Nach „verwirrtem“ Abtasten mit einer Variante des Gordischen Knotens und Zweiergesprächen im Spazieren fliegen bei der Gruppenherausforderung „Drüber, Drunter, Durch“ schon Menschen durch die Höhe – die Gruppe bietet mit viel Vorsicht und Rücksicht den sicheren Rahmen für waghalsige Manöver. Wir sprechen über Strömungen und Trends in der Erlebnispädagogik und probieren verschiedene Reflexionsmethoden aus. Noch kniffliger erweist sich das Wettrennen mit der modularen Kugelbahn. Mit einem vertiefenden Gespräch über die Komfortzone und über den Charakter von Erlebnissen, welche diese zu erweitern imstande sind, lassen wir den kurzweiligen Vormittag ausklingen.

Reflexion im Kreis

Modulare Kugelbahn

Gleich mehrere Ursachen führen dazu, dass der Geschützte Landschaftsteil Glocke von einem für Tiroler Verhältnisse hohen Potential für Baumartenvielfalt gekennzeichnet ist. Mit Hochstegener Marmor (kalkhaltig) und Gneis (silikatisch) sind zwei geologische Untergründe präsent, auf denen sich jeweils unterschiedliche Pflanzen- und Waldgesellschaften herausbilden. Die durch die glockenartige Geländeform gegebenen unterschiedlichen Expositionen in fast alle Himmelsrichtungen haben stark ausgeprägte Mikroklimata zur Folge, auch Wasser und Nährstoffe sind geländebedingt ungleichmäßig verteilt. Die tief ins Gestein gegrabene Tuxbachschlucht, welche oberhalb der Glocke von der beeindruckenden historischen Teufelsbrücke überquert wird, bringt steile Felswände und dauerhaft hohe Luftfeuchtigkeit als Aspekte mit. Ein interessantes Gebiet also für einen nachmittäglichen Spaziergang mit Forstexpertin Anna Rita Hollaus. Neben der Vermittlung der Hauptbaumarten der Tiroler Wälder gibt sie uns einen Einblick in verschiedene Waldthemen aus forstlicher Perspektive. Wir sprechen über Naturwald und Ertragswald (60 Prozent der Tiroler Waldfläche), die verschiedenen Funktionen des Waldes für die Gesellschaft (der Schutzwald hat in Tirol eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung), Besitzstrukturen und die wichtigsten rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen.

Forstexpertin Anna Rita Hollaus

Blättersammlung heimische Baumarten

Die Vielfalt an diesem besonderen Standort lässt unsere Artenliste schnell anwachsen. Über zwanzig Baumarten kommen letztendlich zusammen. Für die gesamte Palette wird es noch Wiederholungsmöglichkeiten geben, während die Hauptbaumarten Tirols (Fichte 58%, Lärche 7%, Buche 5%, Kiefer 4%, Tanne 3%, Zirbe 2%) mitsamt ihren Merkmalen schon bald gefestigtes Wissen werden. Auf der Wanderung rund um die Glocke widmen wir den unterschiedlichen Waldgesellschaften besondere Beachtung. In den steilen, felsigen Abhängen der dauerfeuchten Tuxbachschlucht ist der Bergahorn am häufigsten zu sehen – an weniger steilen Stellen gesellen sich Fichte, Tanne, Buche und andere Laubbaumarten dazu. Auf der südexponierten Seite der Glocke hat sich auf silikatischem Untergrund ein Linden-Eschen-Mischwald herausgebildet, der von Edellaubhölzern geprägt ist. Hier finden sich auch einige Exemplare der aufgrund des Ulmensterbens sehr selten gewordenen Bergulme. Der Gemeinen Esche steht ein ähnliches Schicksal bevor – wir machen viele Bäume aus, die vom Eschentriebsterben schwer in Mitleidenschaft genommen sind. Ein aufheiternder Blick hingegen ist das oft fotografierte „Lindenkreuz“, welches durch zwei zusammengewachsene Linden entstanden ist. Auf dem Rückweg kommen wir wieder auf die Seite mit Marmoruntergrund – an der geologischen Grenze haben sich auch eine Fichte und eine Buche in inniger Umarmung gefunden.

Schluchtwald am Tuxbach

Rot-Buche – „Mutter des Waldes“

Der Abendvortrag von Daniel Baumgartner versucht, einen Blick auf das Leben auf der Erde aus der Vogelperspektive zu erhaschen. Verschiedene Aspekte der globalen ökologischen Krise werden erörtert. Welterschöpfungstag, Massenaussterben und Populationsrückgänge (wild lebende Arten machen nur noch vier Prozent der globalen Säugetier-Biomasse aus!) stehen in krassem Kontrast zur Schönheit, Vielfalt und Fülle, die wir im Verlauf der Ausbildung auf unseren Exkursionen erleben dürfen. Das ist nicht leicht zu verdauen, und dennoch verdient die Lage der Erde als lebendes System unsere dringende Aufmerksamkeit – Naturführer:innen können in dieser Hinsicht wichtige Multiplikator:innen sein.

Für die Beschäftigung mit Wald- und Naturpädagogik haben wir mit dem hinteren Zemmgrund, einem von Wasserfällen und steilen Felswänden geprägten Talschlusses im hinteren Zillertal, ein ideales Gebiet gefunden. Johannes Rüdisser vom Institut für Ökologie der Universität Innsbruck hat neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch weitläufige Erfahrungen im Bereich der Umweltbildung und Naturvermittlung gemacht, von Schulklassenführungen mit Natopia bis hin zur Entwicklung und Begleitung neuer Umweltbildungsprojekte. Ziel des Tagesworkshops ist es, Impulse für die naturpädagogische Arbeit mit Gruppen von Kindern und Erwachsenen zu bieten. Es handelt sich dabei um erlebnis- und erfahrungsorientierte Zugänge, bei denen die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten in ein breites Sammelsurium von Methoden eingebunden ist. Die Teilnehmer:innen werden eingeladen, sich auf die Aktionen einzulassen, sie im Probedurchlauf am eigenen Leib zu erleben und von der Möglichkeit dieser Innenperspektive zu profitieren – eine wichtige Basis für jene, die ähnliche Methoden in ihrer Arbeit mit Gruppen anzuwenden gedenken. Johannes betont auch, dass sich die Eignung und Notwendigkeit von Natur- und Waldpädagogik gewiss nicht auf Kinder als Zielgruppe beschränkt: Der Tag wird ihm Recht geben! Es wird gerannt, gespielt, gelauscht, gebastelt und gelacht… und dazwischen gibt es immer wieder Gelegenheit, das Erlebte einzuordnen, zu reflektieren und auf die Verwendbarkeit für die eigene Tätigkeit hin zu prüfen.

Ökologe und Naturpädagoge Johannes Rüdisser

Volle Konzentration beim Tarnpfad

 

 

 

 

 

 

 

Der Vormittag steht ganz im Zeichen der Sinneswahrnehmung. Nach einer kurzen Tiernamenrunde mit Namenswettlauf zu Beginn gilt es beim Waldmemory, sich möglichst viele Naturgegenstände zu merken und in der nahen Umgebung wiederzufinden. Diese werden anschließend besprochen und von der Gruppe zu einem Mandala aufgelegt – ein biologisch abbaubares Naturkunstwerk, in konzentrischen Kreisen angeordnet. Der anschließende Tarnpfad erfordert höchste Konzentration, um so viele getarnte Kunststofftierchen wie möglich in der Vegetation zu erspähen. „Ohren weit auf!“ heißt es hingegen bei der Geräuschelandkarte. Während einer meditativ wirkenden Stillephase werden alle wahrgenommenen Geräusche auf einem Stück Papier vermerkt – eine Einladung, einmal genauer als üblich hinzuhören, und die Hintergrundgeräusche die Hauptrolle einnehmen zu lassen. Durch beeindruckendes Bergsturzgelände wandern wir weiter taleinwärts und schlagen auf einer Wiese am Zemmbach unser Lager für den Rest des Tages auf. Am Ende des Vormittags wird das Erlebte in der Gruppe reflektiert und die Eignung verschiedener Methoden in unterschiedlichen Kontexten diskutiert. Das Konzept „Flow Learning“ des US-amerikanischen Naturpädagogik-Pioniers Joseph Cornell bildete einen Leitfaden hinter der durchdachten Abfolge von Methoden, die den Teilnehmer:innen einen kurzweiligen, erholsamen und doch lehrreichen Vormittag boten.

Wasserfalm oberhalb der Klausenalm

Tagfalter-Arten kennenlernen

Weiter geht’s am Nachmittag im Zeichen der Schmetterlinge: Johannes stellt das Projekt „Viel-Falter“ (Monitoring heimischer Tagfalter unter Miteinbeziehung interessierter Laien) vor und lädt zu einem einfachen Spiel daraus ein, bei dem die wichtigsten heimischen Tagfalterarten mühelos vermittelt werden. In weiterer und heiterer Folge werden die Teilnehmer:innen in einer Reihe von Naturerlebnisspielen in menschliche Kameras, Eulen, Krähen, Amseln, Fledermäuse und Nachtfalter verwandelt. Wir nehmen einen prall gefüllten Methodenkoffer für die Bereicherung der eigenen Tätigkeit mit verschiedenen Zielgruppen mit.

Guttationstropfen beim Frauenmantel

Hier waren menschliche Amseln am Werk

 

 

 

 

 

 

 

Botaniker Christian Anich vom Tiroler Landesmuseum lenkt unsere Aufmerksamkeit am Sonntag Vormittag in einem Waldstück unterhalb von Maria Brettfall am Eingang des Zillertals auf eine evolutionär alte Pflanzengruppe, die im Vergleich zu den Blütenpflanzen oft weniger Beachtung erhält. Erst auf den zweiten Blick und mit Hilfe einiger wichtiger Hinweise vom Experten in Bezug auf Unterscheidungsmerkmale tritt in den grünen Moospolstern eine Vielfalt zutage, die den meisten bisher verborgen blieb. Aufgrund ihrer Lebensweise sind Moose sehr stresstolerant und können schwierige Standorte besiedeln – auch solche mit angespanntem Wasserhaushalt wie auf Baumrinden, Felsen oder Dachziegeln. Wir besprechen die Untergruppen sowie Unterschiede zu den Gefäß- und Samenpflanzen in Aufbau und Vermehrung. Mit dem Zypressen-Schlafmoos und dem Großen Runzelbruder lernen wir gleich zwei der häufigsten Arten mit hohem Wiedererkennungswert kennen. Die Vielfalt der von Christian mitgebrachten und von den Teilnehmer:innen später vom Kreuzweg aus gesammelten Moose ist faszinierend, jedoch ist es auf Anhieb auch mit Lupe gar nicht leicht, die vielen neu erlernten Arten sicher und richtig zu bestimmen und wiederzufinden.

Moosexperte Christian Anich

Vertiefte Moosbeschau

 

 

 

 

 

 

 

Also entscheiden wir uns, den Blick zu fokussieren, und stellen eine Liste der häufigsten und bedeutendsten heimischen Arten auf, die auch Laien gut wiedererkennen können. Die Torfmoose und ihre kulturgeschichtliche und ökologische Bedeutung sind uns bereits im Heiterwanger Hochmoor begegnet. Aus dem Haarmützenmoos wurden früher sogar als Schiffstaue verwendete Mooszöpfe geflochten. Die zur Krippendekoration verwendeten Schlafmoose besiedeln oft mattenartig die Basis von Baumstämmen und laden zum Verweilen ein. Wir erkennen das häufige Zypressen-Schlafmoos gleich an den Wurzelanläufen einer hohen Fichte. Der an lichteren Standorten vorkommende Große Runzelbruder hingegen raschelt beim Betreten und ist daher auch als Raschelmoos bekannt. Die Gabelzahnmoose bilden in der Regel große Polster, während manche Lebermoose vom Habitus her eher an Flechten erinnern. Mit den Höhenmetern steigt auch unser Selbstbewusstsein bei der Zuordnung der häufigsten Arten. Von Maria Brettfall aus genießen wir den tollen Ausblick weit über das Inntal und lassen das Gelernte sedimentieren.

Haarmützenmoos mit Sporenkapseln

Aussicht von Maria Brettfall

Die Bedeutung von Moosen in der Medizin ist heute als gering einzustufen. Umso wertvoller ist ihre ökologische Rolle als Pionierbesiedler. Den unverwüstbaren Bärtierchen dienen sie als Lebensraum. Von unmittelbarer Bedeutung für den Menschen: Durch ihre ausgeprägte Fähigkeit zur Wasserspeicherung bilden sie einen natürlichen Hochwasserschutz und können sowohl Niederschlags- als auch Temperaturextreme abpuffern. Auch die sinnliche Erfahrung eines Moosbettes im Wald an einem warmen Sommertag ist unbezahlbar.

In der letzten Einheit des Kursmoduls vertiefen wir mit Forstbotaniker Manfred Hotter das Thema Wald aus botanischer Sicht. Im Gegensatz zum Vormittag gilt unsere Aufmerksamkeit in erster Linie den so genannten höheren Pflanzen und ihrer Ökologie. In einer Einführung erfahren wir, welche klimatischen und geologischen Faktoren dazu führen, dass sich unter natürlichen Bedingungen je nach Standort spezifische Waldgesellschaften ausbilden. Diese kennzeichnen sich jeweils durch eine typische Baumarten- und Unterwuchszusammensetzung, und werden entsprechend nach den Charakterarten benannt. Was die klimatischen Wuchsgebiete betrifft, gibt es die grobe Unterscheidung zwischen den niederschlagsreicheren Randalpen und den trockeneren inneralpinen Zonen mit größeren Temperaturschwankungen – wir blicken in Richtung ersterer (nördliche Kalkalpen) und haben zweitere (Alpenhauptkamm) im Rücken. Diese großräumigen Klimafaktoren bedingen die potentielle natürliche Verbreitung der Hauptbaumarten in Tirol. Der aktuelle Flächenanteil ist natürlich stark von der historischen und aktuellen forstwirtschaftlichen Nutzung beeinflusst. Insgesamt kommt Tirol auf 9 heimische Nadelbaum- und 37 Laubbaumarten. Anhand des guten Ausblicks auf das Rofangebirge nördlich von Wiesing lassen sich auch die für den Alpenraum typischen Höhenstufen der Waldvegetation gut wiederholen. Direkt über dem Dorf ist ein ausgedehnter Kahlschlag im Fichtenforst ersichtlich, der vermutlich aufgrund von schwerem Borkenkäferbefall getätigt wurde.

Manfred Hotter bei der Höhenmessung

Pionier-Baumart Hänge-Birke

Unsere Exkursion führt uns durch den Wiesinger Tiergarten. Heute lädt das historische Jagdrevier mit seinem Forstlehrpfad zum Spazieren, Beobachten und Verweilen ein. Der kleine Inselberg hat Wettersteinkalk als geologischen Untergrund. Allerdings deuten gleich mehrere Spuren darauf hin, dass der Standort auch durch hertransportierte Innsedimente geprägt ist. Wir stoßen etwa auf Amphibolit-Gestein aus den Zentralalpen, und auch die tiefgründige, lehmige Braunerde kann in dieser Form nicht allein an Ort und Stelle entstanden sein. Der geschulte Botanikerblick findet im Vorkommen von Giersch, Wald-Ziest und Berg-Goldnessel am Waldboden Bestätigung für den wüchsigen Untergrund. Manfred zeigt die Laser-Höhenmessung an einer Fichte vor. Am Wegesrand stoßen wir auf das Vielblütige Salomonsiegel und Echten Hopfen. Die große Artenvielfalt lädt zur Wiederholung der heimischen Baum- und Straucharten ein. Wir stoßen auf eine majestätische Buche mit fast drei Meter Umfang. Anhand der schmarotzenden Orchidee Vogel-Nestwurz wird thematisiert, warum nicht alle Pflanzen grün sein und Photosynthese betreiben müssen.

Vogel-Nestwurz, eine chlorophyllfreie Orchidee

Vielblütiges Salomonssiegel

Immer wieder dringt der Ruf eines Buntspechts durch das Blätterdach, der sich am großen Angebot von stehendem Totholz erfreut. Unterdessen bohren wir eine Fichte mit etwa einem guten halben Meter Durchmesser zur Altersbestimmung – auf etwa 60 Jahre kommt die Zählung. Mit einer beeindruckenden etwa 200-jährigen Stieleiche schließt sich unser Rundgang. Auch beeindruckend, wenn auch auf wüstere Art, ist der geparkte Harvester zur Holzernte samt Spuren am Lagerplatz. Um einige Größenordnung kleiner, aber nicht weniger bedeutsam, ist der letzte Organismus, den Manfred am Parkplatz herzeigt: der Buchdrucker oder Achtzähnige Fichtenborkenkäfer sorgt zum Beispiel in Osttirol besonders nach den großen Windwürfen der letzten Jahre für riesige forstwirtschaftliche Verluste.

Vorübergehend mag es einigen im Kurs nach diesem intensiven Modul im Zillertal so ergehen, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Doch zweifelsohne sind das viele neue Wissen und die verschiedenen erworbenen Blickwinkel eine Einladung, in Zukunft besonders aufmerksam und achtsam durch den Wald zu spazieren, und das erworbene Waldwissen stetig auszubauen und zu festigen.

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